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Endometriose – Mehr Bewusstsein und Unterstützung nötig

Chronische Schmerzen, Missverständnisse im Umfeld, Zweifel am Selbstwert – Endometriose betrifft weit mehr als nur den Körper. Als Mutter einer von einer schweren, tiefen Endometriose Betroffenen habe ich dies unmittelbar erfahren.

Das folgende Interview mit Flawia Visetti von Endo-Help, der Schweizerischen Endometriose Vereinigung, erschien im Endo-Help Newsletter im Februar 2025.

Endo-Help: Liebe Frau Stäheli, herzlichen Dank für Ihre Verfügbarkeit. Wir freuen uns sehr, Ihre wertvollen Einblicke in einem Newsletter zu teilen. Wann denken Sie, ist es sinnvoll, psychologische Hilfe hinzuzuziehen?
Christina Stäheli: Wenn man das Gefühl hat, allein oder mit Unterstützung von Familie und Freunden nicht weiterzukommen. Gründe können wiederholte Absenzen auf der Arbeit sein, die zu Konflikten mit dem Arbeitgeber führen, oder Schwierigkeiten, den eigenen Körper zu akzeptieren. Die zentrale Frage lautet: Wie bewältigt man den Alltag – sei es bei der Arbeit, in der Partnerschaft oder im Umgang mit einer Krankheit? Zudem kann sich die Frage stellen, ob die Erkrankung die Fruchtbarkeit und einen Kinderwunsch beeinflusst und wie dies den Selbstwert beeinträchtigt.

 

Endo-Help: Inwiefern ist es wichtig, auch das Umfeld in eine Therapie einzubeziehen?
Christina Stäheli: Familienmitglieder und Freunde wissen meist nicht, was eine Endometriose-Diagnose bedeutet. Es gibt verschiedene Stadien und Befallarten, und jeder Körper reagiert anders darauf. Deshalb ist es wichtig, das Umfeld mit Fakten aufzuklären, um Missverständnisse zu vermeiden, zum Beispiel die Annahme, dass die Symptome «nur psychosomatisch» seien. Kommentare wie «Das ist normal, das gehört zur Periode» oder «Das bildest du dir ein» können belastend sein – für Betroffene ebenso wie für ihre Angehörigen.


Endo-Help: Mit welchen Anliegen kommen Endometriose-Betroffene zu Ihnen?

Christina Stäheli: Die häufigsten Themen sind Partnerschaftsprobleme, Ängste, Schwierigkeiten rund um Schwangerschaft oder unerfüllten Kinderwunsch, wiederholte Operationen oder der Verlust des Arbeitsplatzes. Oft geht es zudem um Selbstwertschwankungen oder um den Wunsch nach Verständnis in den verschiedenen Lebensbereichen. Betroffene wünschen sich Personen, die wertfrei zuhören und nicht urteilen.

 

Endo-Help: Wie beeinflusst Endometriose zwischenmenschliche Beziehungen?
Christina Stäheli: Chronische Schmerzen belasten nicht nur Betroffene, sondern auch ihr Umfeld. Als Mutter einer Betroffenen war es für mich schwierig mitanzusehen, wie meine Tochter leidet und wie lange sie ihr Leiden verborgen hat. In Partnerschaften stellen sich Fragen wie: «Bleiben wir zusammen?», «Wie stabil ist unsere emotionale Verbindung?» Oder bei Unfruchtbarkeit: «Wollen wir die Beziehung trotz Kinderwunsch fortführen?». Solche Themen können eine Beziehung erschüttern. Auch deshalb ist es hilfreich, Partner in die Gespräche einzubeziehen und gemeinsam zu klären, was beide wollen.

 

Endo-Help: Zweifeln Betroffene oft an sich selbst?
Christina Stäheli: Ich habe einige Klienten, die an sich zweifeln. Ein Grund kann dabei auch ein unerfüllter Kinderwunsch sein – manchmal fühlen sich Frauen dann weniger weiblich oder hadern mit ihrem Selbstbild.


Endo-Help: Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie bei den Problemen der Betroffenen?
Christina Stäheli: Viele Patientinnen kommen ursprünglich wegen «psychosomatischer» Beschwerden. Auf Nachfrage stellt sich oft heraus, dass physische Beschwerden die Ursache sind. Ein zentrales Thema ist durch chronische Schmerzen ausgelöster Stress, die Unsichtbarkeit der Krankheit oder die Erfahrung, von Ärztinnen und Ärzten nicht ernst genommen zu werden. Hinzu kommt, dass Endometriose oft nicht die einzige Diagnose ist: Begleitende Autoimmunerkrankungen oder andere Beschwerden sind keine Seltenheit.


Endo-Help: Wie können Angehörige unterstützen?
Christina Stäheli: Angehörige sollten präsent sein, aber auch lernen loszulassen. Betroffene müssen die Freiheit haben selbst zu entscheiden und für ihre Gesundheit einzustehen. Unterstützung bedeutet, da zu sein, ohne alles für die Betroffenen zu regeln. Aus der Erfahrung mit meiner Tochter weiss ich, wie schwer es sein kann, den Balanceakt zwischen Beistand und Zurückhaltung zu finden.


Endo-Help: Was bedeutet Endometriose im Alltag?
Christina Stäheli: Das ist je nach Schweregrad der Krankheit und Art der Behandlung unterschiedlich. Wichtige Faktoren sind, wie oft bereits operiert wurde, wie der Gesundheitszustand ist und wie verständnisvoll das Umfeld reagiert. Chronische Erkrankungen wie Endometriose, aber auch andere Frauenkrankheiten, wurden lange tabuisiert. Es braucht mehr gesellschaftliches Bewusstsein, um Betroffenen den Alltag zu erleichtern.

 

Endo-Help: Wie kann man Stress durch die Erkrankung besser bewältigen?
Christina Stäheli: Selbstfürsorge ist zentral. Dazu gehört, Ressourcen zu pflegen, bewusst «Nein» zu sagen und Atemtechniken zu nutzen. Letztere helfen zwar nicht, den Schmerz zu beseitigen, können aber den Umgang damit erleichtern, indem sie innere Ruhe fördern.

 

Endo-Help: Wie kann man mit dem Gefühl umgehen, von Ärztinnen und Ärzten nicht ernst genommen zu werden?
Christina Stäheli: Das ist eine grosse Herausforderung. Betroffene sollten bei Terminen darauf achten, ob sie sich wohl und ernst genommen fühlen. Wenn nicht, kann es sinnvoll sein, eine Zweit- oder Drittmeinung einzuholen. Letztlich ist es wichtig, Ärztinnen und Ärzten klar zu sagen, was man braucht und erwartet. Als Psychologin kann ich helfen, Vertrauen wiederzugewinnen, indem ich hinterfrage, wo das Misstrauen begonnen hat, und ob es mit früheren Erfahrungen verknüpft ist.


Endo-Help: Haben Sie abschliessend einen Ratschlag für Betroffene?
Christina Stäheli: Das Buch «Wenn der Körper nein sagt» von Gabor Maté empfehle ich wärmstens. Es zeigt, wie Stress Erkrankungen beeinflussen kann, und bietet Strategien, um sich besser abzugrenzen, Druck zu reduzieren und mit einer chronischen Erkrankung zu leben.

 

Endo-Help: Besten Dank und alles Gute!


Kontakt: Endo-Help – Schweizerische Endometriose Vereinigung, CH- 5612 Villmergen, info@endo-help.ch, www.endo-help.ch